Sommerlager, Pubertät und Zeitenwende
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Insgesamt
Es ist der Sommer 1989 und der 14jährige Jens aus Berlin macht sich, wie jedes Jahr, in den Ferien auf ins „Betriebssommerlager“. Das letzte Mal, dass er fahren darf, denn 14 ist das Höchstalter für solche damaligen Ferienfreizeiten in der ehemaligen DDR.
Eine Zeit, in der sich in ihm vieles tun wird. Mädchen werden das erste Mal ein wirkliches Thema, doch natürlich weiß Jens nicht, wie das geht, schwankt zwischen Faszination, Peinlichkeit und lange noch nicht hergestelltem Vertrauen in sich selbst (wunderbar trocken geschildert im Roman). Die Tischtennisplatte ist sein Revier, nur hier fühlt er sich wirklich sicher, nur hier traut er sich, erste, zaghafte Schritte zu gehen. Vor allem zu Peggy hin, die ihn durch ihr Außenseitertum fasziniert. Was er sich natürlich nicht anmerken lassen darf, das wäre „uncool“ zwischen „Plaste“, „Broiler“ und Jungenabenteuer.
Und noch eine andere „Zeitenwende“ steht natürlich an, im Buch allerdings nur, wenn überhaupt, entfernt im Hintergrund.. Das Ende der DDR nähert sich. Das verrauschte Westfernsehen zeigt verschwommene Bilder von DDR Bürgern in Ungarn und der Tschechei. Aber was genau da vorgeht, wen interessiert das wirklich mit 14 im Sommerlager? Coole Sprüche, Berliner Slang, öde Wanderungen, spannende Abende, Tanzen wollen, aber nicht können, das ist, worum es wirklich geht. Selbst als der ein oder die andere der erwachsenen Leitern „verschwindet“ und nicht wiederkehrt, nur am Rande wird dies von den Jugendlichen wahrgenommen. Und schnell wieder zu den „eigentlichen“ Wichtigkeiten zurückgekehrt.
So auch, als die Polizei das Lager betritt, Nicht wegen politischer Dinge, sondern weil eben jene Peggy verschwunden zu sein scheint. „„Wie kommst du denn darauf, dass eure Leiter Republikflucht begangen haben?“. „Wo sollen sie denn sonst sein? Auf dem Mond?“. „Können wir mal ihre Pistole sehen? Bekommen sie wirklich Milch gegen Abgase“?
Eine „jugendliche Lager-Atmosphäre“, die Jochen Schmidt absolut treffend in Worte zu bannen versteht. Jeder, der Erinnerungen an solche Ferienfreizeiten hat, wird sich in jedem Satz und jeder Szene zunächst wiedererkennen, da spielt auch die DDR-Nostalgie mit ihren genauen Beschreibungen von Einrichtungs- und Spielgegenständen keine wirklich entscheidende Rolle. Obwohl natürlich jene, die in jenen Jahren im entsprechenden Alter in der DDR waren, noch mehr in ihre eigene Vergangenheit hineingezogen werden.
Das ist eine der wesentlichen Stärken des Buches, aber auch eine anzumerkende Schwäche. Hervorragend im Stil und in der Atmosphäre und im Blick auf die Innenwelt der Protagonisten genau getroffen, verbleibt Schmidt doch zu sehr allein in dieser pubertierenden Innenschau. Ein wenig mehr jener „Zeitenwende“ wäre durchaus interessant gewesen.
Ein komprimiertes Stück wichtiger, jugendlicher Entwicklung, die zu jeder Zeit, nicht nur im Sommer 1989 stattgefunden haben könnte. Dies zudem treffend und intensiv in vielen Einblicken und Erlebnissen sprachlich bestens geschildert.
„Wenn ich sie jetzt küsse, wind wir ein Paar und müssen es vor allen anderen zugeben. Das ist dann passiert, man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen“. Das ist sicherlich eine wichtige Sache für einen pubertären Jugendlichen, aber an sich im Weltgetriebe relativ belanglos.
Ein Blick in die „Wichtigkeiten“ und Wirrungen eines 14jährigen, äußerst real und gut in der Situation eines Ferienlagers beschrieben. Darüber hinaus aber verbleibt der Roman ein stückweit zu sehr im Vagen, was die Situation der Zeit an sich und die beginnenden Auflösungserscheinungen der ehemaligen DDR angeht. Eine wunderbare Lektüre im Sinne einer Nostalgie, weniger mitreißend im größeren Zusammenhang der damaligen Zeit.