Völlig utopisch

Plädoyers für den „Möglichkeitssinn“
  • Insgesamt
5

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„Wer Visionen hat, möge zum Arzt gehen“ ist das vielleicht verbreiteteste Bonmont des Altkanzlers Helmut Schmidt zu Zeiten seiner Kanzlerschaft.

Und so betrachtet „die Welt“, gerade in den überwiegend technisch, wirtschaftlich und marktorientierten Haltungen der modernen Zeiten oft solche „Visionen“, „Utopien“. Ideen, Vorstellungen, Versuche, die zu (fast) allen Zeiten mit dem Begriff „Spinner“ gekennzeichnet wurden.

Das aber Visionen und Utopien, ein Denken in (zunächst noch irreal wirkenden) „Möglichkeiten“ letztlich immer wieder im „Trial and Error“ Verfahren die Welt anders gemacht, vorangebracht, tiefer, weiter gemacht haben, das wird gerne und oft vergessen.

Alternative Modelle zum je gegenwärtigen Leben gab und gibt es zu allen Zeiten. Franziskus war nicht Ausdruck der Kirchlichkeit seiner Zeit, sondern eine radikale Gegenströmung, Edison nicht der hofierte Erfinder, sondern einer, der Widerstände überwinden musste. Den Grünen gab Helmut Kohl ein paar Monate, herausgekommen sind über drei Jahrzehnte (wenn auch mit nunmehr eher „realer“ Politik denn mit „Utopien“). Die Liste lässt sich beliebig fast endlos erweitern.

Marc Engelhardt sammelt in diesem Buch andere Ansätze. Lebensversuche von „Utopisten“, die Umsetzung von alternativen „Visionen“. 17 Beispiele zumindest eines „sich Rührens“ in einer Welt, die letztlich auch nur behauptet, auf dem „richtigen“ Weg zu sein und an vielen Stellen hauptsächlich dann doch nur soziale Ungerechtigkeit, Abwesenheit von Werten und eine rein funktionale Betrachtung von Menschen zuwege bringt.

Nach dem Zitat von Carl Zuckmayer, „die Welt wird nie gut, aber sie könnte besser werden“ Ideen zu entfalten und diese auch praktisch zu versuchen, dass aber ist nun einmal völlig legitim, solange es andere nicht mit Gewalt schädigt und im Buch durchaus anregend und interessant zu lesen.

Und dabei verweist das Buch auch darauf, dass vieles von dem, was als „utopisch“ in das Reich des „Unmachbaren“ verlegt wird, durchaus in der Geschichte oft und oft bereits gelebte Wirklichkeit war. Wo Eigentum für die Masse der Menschen nicht „das wichtigste Gut“ gewesen ist, wo „andere Lebensformen“ nicht gleich als Bedrohung angesehen wurden, sondern ihren Platz auf der Welt finden konnten.

„Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit“ waren nicht nur in Frankreich immer wieder (wenn auch an manchen orten nur für kurze Zeit) bewegende Werte, der „Konsum“ hat nicht immer die „Masse Mensch“ fast alleine angetrieben. Und auch heute noch sind „Alternative“ zu finden, wie dieses Buch in seinen Portraits zeigt. Wobei es nicht darum geht, dass jeder Leser jeden Entwurf der Personen im Buch gleich auch wunderbar zu finden und für sich zu übernehmen hätte. Aber sich vielleicht in guter Form darauf hinweisen lässt, dass es „auch anders geht“, dass es eben keine „Alternativlosigkeit“ gibt, wie sie politisch gerne mal im Blick auf „das System“ behauptet wird.

Von bekannten Modellen wir „Christiana“ in Dänemark („alle macht allen“) mit durchaus Blick auch auf die Konflikte im Lauf der Jahrzehnte, über die eher unbekannten „alternativen Hacker von Calafou“ in Spanien (freie Software und technisches Know-How jenseits des „Systems“) bis hin zu „namibischen Sterntalern“ (ein regelmäßiger „Geldregen“ durch Bischof Kameeta mit am Ende sehr konstruktiven Folgen für 930 Menschen) reicht die Palette der „anderen Art“, dem modernen Leben zu begegnen.

Portraits, die allesamt interessant zu lesen sind, Projekte, die „Hand und Fuß“ haben, bzw. in naher Zukunft haben können und die den Kopf des Lesers mit „guten Visionen“ ein wenig durchlüftet.

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