Gut, aber zu lang und im Finish auf leicht tönernen Füßen
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Insgesamt
Lynley ist zurück. Und nun so langsam auch endgültig. Was sich unter anderem daran festmacht, dass der vom Schicksal gebeutelte Inspector in diesem Buch sich auch wieder den Reizen einer Frau gegenüber aufgeschlossen zeigt.
Das Lynley dabei immer noch wie ein schüchterner Pubertierender vorgeht und in dieser Beziehung immer der reine „Softie“ bleiben wird, kennt der Leser ja bereits aus den damaligen Annäherungen an seine erste, einem Mord zum Opfer gefallene, Frau Helen. Auch wenn Deirdre, die „Neue“, durch George mit einem ganz anderen „Typ Frau“ versehen wurde, ein wenig „aufgebacken“ wird diese Romanze schon, wie eine Wiederholung auf nicht ganz so komplexen und sich nicht ganz so lange hinziehenden „Werbungserleben“.
Zurück ist Lynley auch in der Ermittlungsarbeit. Wobei diesmal zunächst im eigentlichen Sinne kein echter „Fall“ vorliegt, sondern ein häusliches Drama um den Nachbarn Barbara Havers, den diese sehr schätzt. Ein Drama um das „Verlassen werden“ von seiner Lebensgefährtin, die mit dem gemeinsamen Kind, der ebenfalls bereits den Lesern der Lynley Romane lange bekannten Haddiyah, verschwindet, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Was nicht lange so bleiben wird. Denn irgendwann steht diese Frau vor der Tür des Nachbarn Azhar und beschuldigt diesen der Entführung seiner Tochter in Italien.
Während Havers alle Regeln beugt, um Azhar, dem Nachbarn und Vater Haddiyahs, zur Seite zu stehen und dessen Unschuld zu beweisen, übernimmt Lynley die Ermittlungen in Italien. Mit allseits überraschenden Wendungen und Spuren, die lange Zeit ein eher diffuses Bild ergeben, vielfach aber in Richtung einer Schuld Azhars zu deuten beginnen. Was Havers nicht hinzunehmen bereit ist und sie in tiefen Konflikt mit ihrer Dienststelle und der gemeinsamen Vorgesetzten bringen wird. Soweit, dass der Leser sich im zweiten Drittel des Buches immer deutlicher zu fragen beginnt, wo da noch ein Schlupfloch sein könnte, um Havers auch nach Ende des Buches noch im Dienst von Scotland Yard oder überhaupt auf freiem Fuß zu erleben.
Dieser Teil der Geschichte darf im Übrigen als die große Stärke des Buches benannt werden. Sich Barbara Havers in solch intensiver Weise zuzuwenden und den Leser Teil an den zunehmenden, fast folgerichtig kommenden Verstrickungen der Polizistin nehmen zu lassen, das gibt dem Buch einen spannenden und dichten roten Faden. Mit intensivem Auf und Ab, mit neuen Verbündeten und alten Feinden, mit einer Belastungsprobe aller Beziehungen und mit einem Einblick in eine trostlose, innere Einsamkeit, die den Leser nicht kalt lässt.
Da gerät der eigentliche „Fall“ in Teilen fast zur Nebensache und, soviel sie verraten, ganz überzeugend ist das Geschehen um den dann doch später stattfindenden Todesfall letztlich auch nicht gelöst (viele andere Varianten wären denkbar und wohl auch mit größerer Wahrscheinlichkeit ausgestattet gewesen).
Zudem sind einige Handlungsstränge nicht notwendig und andere wiederum sehr, sehr breit gezogen, ein Viertel an Umfang weniger des Buches wären inhaltlich zu verschmerzen gewesen und hätten als Straffung dem Leseerlebnis eher gut getan.
Dennoch, alles in allem wieder ein guter Lynley Roman, in dem George ihrem Still treu bleibt, nicht nur in den einzelnen Büchern selbst, sondern auch von Buch zu Buch als übergreifende Geschichte ihre Personen intensiv und sorgfältig zu entwickeln und immer noch die ein oder andere neue Eigenschaft dem Leser vor Augen zu führen oder bis dato eher nebensächlich behandelte Teile der Persönlichkeiten deutlich in den Schwerpunkt zu rücken.
Vom feindseligen Kollegen bis zur schwankenden Chefin, die zudem noch ihre Affäre mit Lynley zu verkraften hat, vom vor Eifersucht brennenden italienischem „ganzem Mann“ bis zum geschickten italienischem Kommissar, der für seine Überzeugungen auch hart im Nehmen ist, bietet George eine große und spannungsvolle Bandbreite an Personen und Schicksalen, die auch in diesem Buch noch zu fesseln wissen.