In den Härten des Lebens
-
Gesamtwertung
Der Nordwesten Londons ist Problemgebiet. Sozialstadt. Ein hartes Pflaster.
Ein Ort, an dem man ungern auf Dauer lebt. Ein Ort aber auch, der einen im Äußeren nur schwer loslässt und, wie sich zeigen wird, dem man im Inneren nicht entfliehen werden kann.
Auch wenn Natalie Anwältin geworden ist und mit Frank, ihrem Mann, in deutlich besserer Gegend lebt. Auch wenn sie sich ein anderes Umfeld geschaffen hat, ihre Wurzeln, ihre alte Schulfreundin Leah, das gehört immer noch dazu. Auch wenn Leah und Natalie sich eher in genervter Abneigung verbunden sind, voneinander los kommt man nicht.
Wobei Leah auch nicht vom Ort des Aufwachsens bis her losgekommen ist. Mit ihrem Mann Michel, Friseur, lebt sie immer noch in der Trabantenstadt Caldwell. Hat eine „höhere Ausbildung“, klar, hat einen strebsamen Mann, aber immer noch steckt man mitten drin.
„Wie kommt es eigentlich, dass alle von eurer Schule cracksüchtige Kriminelle geworden sind?“. So sieht Frank das, der „Angeheiratete“.
Während Michel auf ein Kind drängt, darauf, wegzukommen, stabiler zu werden, mehr Geld zu verdienen. Ein Wunsch, in dem Leah ihn scheinbar mit allem unterstützt. Aber im Inneren, da sehen manche Dinge doch ganz anders aus und das Drama wäre sehr, sehr groß, wenn Michel wüsste, was biologisch in seiner Frau so vorgegangen ist in den letzten Jahren.
All dies setzt Smith assoziativ, in fast ungeschliffener, oft abgehackter, oft fast nur in Stichworten agierender Weise unglaublich trefflich in Bild. Hagere Körper, leere Augen, Kriminalität, Gewalt, Härte, eine Unfähigkeit, das eigene Leben zu reflektieren, ein Versuch nur, irgendwie den Kopf über Wasser zu halten.
Die alteingesessenen Leah, Natalie, Nathan und Felix (dessen erste Erwähnung im Buch zugleich aufzeigt, dass dort nur eine Welt ohne Spielregeln existiert), deren „neues“ Umfeld und die ständig gleichen Abläufe, Probleme, Härten des Alltags in Caldwell.
Eine Mischung, die stetig an innerer Spannung zunimmt, eine Entwicklung durch ein „Klopfen an der Haustür“ angestoßen, welche Smith mit Leidenschaft aufnimmt und in ihren dramatischen Wendungen mit ihrer überbordenden Sprache dem Leser nahe bringt.
Eine junge Frau klopft an Leahs Tür, murmelt nur von einer herzkranken Mutter, erbittet sich dreißig Pfund und stellt sich wenig später als bettelnde Betrügerin heraus.
Wie nun Leah versucht, ihr Geld wieder zu bekommen, wie sie mehr und mehr verzweifelt Regeln einfordert, nicht locker lässt und damit eine Welle von Gewalt, Härte, Bedrohung und Tod auf den Weg bringt, dass erzählt Smith sehr plastisch und eingängig und gibt damit einen Einblick in das „wirkliche“ Leben am sozialen Rand, in die Egozentrik des Menschen, in enttäuschte Hoffnungen, menschlichen Verrat, Selbsttäuschung und Kräfte eines „ Nicht mit Dir und nicht ohne Dich“, die emotional dicht die Personen begleiten.
Wobei die Sprache doch auf Dauer sehr gewöhnungsbedürftig ist, manchmal nicht klar ist, wer gerade spricht oder vor sich hin denkt und manche Wendungen der Geschichte auch überzogen wirken.
Als Kaleidoskop des Lebens „da unten“, als innere Schilderung des Mikrokosmos sozialer Probleme, die bis in die Sprache hinein auch durch teure Kostüme und „schöner Wohnen“ nicht einfach aus dem Leben verschwinden bildet das Buch aber eine atmosphärisch dichte, temporeiche und empfehlenswerte Lektüre.