In 72 Tagen um die Welt

Historische Reportage
  • Gesamtwertung
4

In 72 Tagen um die Welt

Jules Verne hatte die fiktive Vorlage geliefert für dieses reale Unterfangen, das im November 1889 seinen Anfang nahm.

Im Zeitalter der beginnenden Technik, der Dampfmaschinen in Lokomotiven und auf Schiffen war es erstmalig möglich, die Geschwindigkeit der Bewegung rasant zu steigern. Alle Unternehmungen vor dieser Zeit waren und blieben immer begrenzt auf die maximale Geschwindigkeit von Pferden. Nun aber eilten Schiffe zu Rekorden im Blick auf transatlantische Überquerungen und durch die Erschließung der Kontinente durch Eisenbahngesellschaften waren auch Überlandreisen enorm beschleunigt.

Sollte es also möglich sein, die Fiktion von Verne in die Realität umzusetzen, gar noch zu unterbieten?

Zwei amerikanische Zeitungsredaktionen schickten dieses Unternehmen auf den Weg. Und das ganz außerordentlich für die damalige Zeit, nicht mittels „verwegener Männer“, sondern tatsächlich mittels zweier Frauen.

Nelly Bly, erst seit zwei Jahren Reporterin bei der „New York World“ macht den Anfang und schifft sich in New York auf die „Auguste Victoria“ ein, um zunächst nach Britannien und dann quer durch Europa durch die Kontinente die Welt zu umrunden (ein Weg, auf dem im Übrigen Jules Verne durchaus eine reale Rolle spielen wird). Ein Rekordversuch, der ihre eigene Idee war und von dem sie die Redakteure zunächst mit viel Geduld überreden musste.

John Brisbane Walker, Besitzer des „Cosmopolitan“, erfuhr aus der Zeitung von Nellie Blys Umsetzung und überredete seinerseits die Autorin und Literaturkritikerin Elizabeth Bisland, sich als „Konkurrentin“ ebenfalls auf den Weg zu machen. In umgekehrter Richtung, sprich, zunächst mit der Bahn ans andere Ende Amerikas und dort dann per Schiff quasi der Route Blys entgegengesetzt.

Zwei Frauen, von unterschiedlichem Charakter (die burschikose Nellie und die eher feingeistige Elizabeth).

Von beiden Frauen berichtet Goodman in komprimierter Form zu nächst biographisch, um dann in ruhigen Perspektivwechseln die historischen Fakten der beiden Reisen nachzuerzählen. Hierbei ist es sein ausgesprochenes Unterfangen, möglichst wenig zu redigieren und möglichst eng an den Quellen seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die er zum Ende hin in ebenfalls biographisch komprimierter Form ausklingen lässt durch das weitere Ergehen der beiden Frauen bis zu deren Tod hin.

So legt Goodman einerseits keinen Abenteuerroman vor, wie es Jules Verne tat, sondern beschreibt sehr genau die technischen Herausforderungen, das Planen und Einhalten von Fahrplänen (die damals alle eher in Schätzwerten nur vorlagen) und die Stationen der jeweiligen Reisen. Zudem bietet er einen intensiven Einblick in jene Zeit des ausklingenden viktorianischen Zeitalters, zeigt die Einflussnahme von Technik und Geschwindigkeit auf den Menschen und vermag es sehr treffend, das Lebensgefühl jener „Aufbruchjahre“ vor den Augen des Lesers auferstehen zu lassen.

Spannend im eigentlichen Sinne ist diese etwas trocken geratene historische Reportage nicht zu nennen, wohl aber informativ und in den gut recherchierten Details gelungen.

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