Lebenserwachen und Abschied
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Gesamtwertung
Zusammenfassung
Eine empfehlenswerte Lektüre.
Geschickt gewählt von Karen Thompson Walker ist es, ihre emotionale „normale Teenager-„ Geschichte im „außergewöhnlichem Rahmen“ durchgehend durch die Augen der elfjährigen Julia zu erzählen. So legt sich der Schwerpunkt eben nicht auf die Rahmung der (sehr langsamen) Apokalypse als Science-Fiction Element, sondern der Leser wird mit hineingenommen in das Lebenserwachen Julias auf der einen Seite und die dichte Schilderung von Verlusten und Abschieden auf der anderen Seite. Umso deutlicher aber tritt dann im Hintergrund der „langsame Untergang“ allzeit bedrohlich in den Raum.
„Zu Anfang standen die Menschen an Straßenecken und beschworen lautstark den Weltuntergang“. Was Wunder auch, wenn sich die Rotationsgeschwindigkeit des Planenten spürbar verlangsamt, die Tage länger und länger werden, sich erst um Minuten, dann um Stunden, dann um ganze Tage ausdehnen.
Mit Folgen. Für die Strahlung der Sonne, das Eingehen aller Pflanzen und Tiere (welche die sich dehnenden Dunkelphasen nicht überstehen), der exorbitante Stromverbrauch für die Erhaltung von Gewächshäusern, der zunehmende Zusammenbruch des Stromsystems. Das Sterben der Vögel durch die sich erhöhende Schwerkraft, das Stranden der Wale und Delphine aufgrund des sich verändernden Magnetfeldes.
Und mittendrin die ersten Liebesahnungen, die ganz normalen Konflikte in Familien, das Zerbrechen von „besten Freundschaften“ an der Schwelle der Kindheit zur Pubertät (sehr empathisch und plastisch geschildert), die kleinen Lügen des Alltags, aber auch dramatisches Sterben und große Trauer.
Diesem inneren Erleben Julias entspricht die äußere Darstellung im „großen Zusammenhang“ mit einer resignativen Note. Die hilflosen Versuche der Menschen, sich auf das neue Umfeld, das „neue Leben“ einzustellen. Die „Uhrzeiter“, die ganz offiziell und durch die Regierungen gesetzt stringent am 24 Stunden Rhythmus festhalten und damit die uralte Unterscheidung zwischen Hell und Dunkel aufgeben. Mit Folgen. Folgen, die nicht zum Guten gereichen werden. Und die „Echtzeiter“, „Aussteiger“ aus dem System. Mit Folgen. Folgen die nicht auf Dauer getragen werden können bei dann je dreißigstündigen Tagen und Nächten, denen sich kein Biorhythmus anpassen kann.
So schwingt klar im Hintergrund mit, dass diese Erde untergehen wird. Weder Versuche des zwanghaften Erhaltens noch des unbedingt sich anpassen Wollens gelingen. Und dennoch wird gelebt. Geliebt. Kinder werden geboren. Und es taucht wiederum auf, was man unter Menschen nur allzu gut kennt. Jene, die anders sind, werden bedrängt, „Echtzeiter“ haben in der stringenten „Uhrzeiter-Welt“ keinen leichten Stand.
Eine ominöse Krankheit tritt hinzu, die nicht alle betrifft, die aber gefährliche Folgen hat. Eine Krankheit, die Julia hautnah miterleben wird. Bei ihrer Mutter, schlimmer aber noch bei ihrer ersten großen Liebe, Zeth Moreno.
„Unsere Bindung war eine plötzliche, wie sie nur für junge oder in Gefahr schwebende Menschen möglich ist“. Umso intensiver entfaltet sich nach langem Anlauf die Bindung beider, die von vorneherein in Gefahr steht.
Die allerdings im Klappentext breit angekündigte „Liaison“ von Julias Vater mit ihrer Klavierlehrerin (eine der letzten „Echtzeiterinnen“ der Nachbarschaft) spielt im Buch selbst nur eine höchst untergeordnete Rolle und wird nicht in den möglichen Reibungen, Spannungen und Erkenntnissen ausgebaut.
Dennoch bietet Walker in ihrer ruhigen, genauen und gründlichen Erzählweise eine intensive zu lesende Studie über das Leben, über Abschiede, Versuche der Anpassung und über ein „zu sich selber finden“. Eine Entwicklung mit Kraft, welche Walker emotional zu erzählen versteht und damit einen nahe gehenden Entwicklungsroman kreiert.