Sich verlieren
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Gesamtwertung
Zusammenfassung
„Dreck“ ist ein interessanter, intensiver und andersartiger Entwicklungsroman, der sprachlich und in der Darstellung seiner Protagonisten in teils sehr provozierender Darstellung zu überzeugen weiß.
Realer, fassbarer Dreck im Sinne von lockerer Erde, von Staub, von Matsch, das sind Dinge, die Galen, der Hauptperson des Buches (aus deren Perspektive alleine Vann seine Geschichte erzählt), von Beginn an begegnen.
Wie sehr er aber darin leibhaftig noch eintauchen wird, wie er innerlich fast verschmelzen wird mit dieser Erde, diesem wahrhaftigen Dreck, das ist weder für Galen noch für den Leser zu Beginn des Buches abzusehen. Eines aber wird deutlich im Lauf der Lektüre, all dieser „äußere Dreck“ ist nur eine Widerspiegelung dessen, was an innerem Weggleiten (oder Notwehr?) in Galen vorgehen wird.
Eine Entwicklung, die Vann allerdings nicht oberflächlich vor Augen führt, sondern die er hintergründig in der Tiefe der Person anlegt und immer weiter nach oben steigen lassen wird.
Und das alles geschieht gerade jenem Galen, der doch nichts anderes versucht, als ganz „rein“ zu werden, „geistlich“, der seinen „Siddharta“ kennt, den „Propheten“ rezitieren kann, der zu schweben versucht, der sich abgrenzt, hart an der Distanz zu seiner alles umschlingenden Mutter, seiner geldgierigen Tante und seiner erotisch fordernden Cousine arbeitet.
Oder täuscht das? Täuscht er sich und den Leser, genauso, wie sein Vegetarismus nur halbgar Bestand hat? Hat vielleicht die Mutter recht mit Ihrer Einschätzung? Denn loslassen, das kann Galen ebenso nicht. Weder geht er arbeiten noch sucht er sein eigenes Glück, dauerhaft lebt er mit seiner Mutter von Treuhandausschüttungen, hatte noch nie einen sexuellen Kontakt (und das mit 22) und lässt sich lieber von seiner frühreifen Cousine demütigen und sexuell erniedrigen, als dass er eine persönliche Grenze einmal einhalten könnte.
„Am nächsten Morgen wurde Galen das Gefühl nicht los, dass seine Mutter der Feind war“. Eben, die Welt ist schuld und im Zweifel immer die Mutter. Und so nimmt das Ausbrechen der inneren Fiebrigkeit seinen Beginn und Lauf, hinein in den Dreck, den schmutzigsten Ort, der innerlich zu finden sein wird.
„Hinunter zu den Waden, schrubben, bis der letzte Dreck weg war, ein Verlust. Es hatte sich richtig angefühlt, von Dreck bedeckt zu sein. Jetzt war er nackt“.
Aber wie es dazu kommt, wie Galen jeden inneren Rahmen verliert, wie er durch den Sex der Sünde Bahn macht, dass ist schon ein intensiver Weg, den Vann glänzend erzählt in seiner klaren, direkten Sprache, in seinen nicht ummäntelten Schilderungen von hartem Sex und anderen leiblichen „Ausflüssen“ bis hin zu einem „zu spät für eine Umkehr“ auf der Entwicklungslinie. Zu einer Zeit, in welcher Galen den Rest der Dinge mit seiner Mutter alleine austragen muss. Gezwungenermaßen.
Wobei, auch das eine Kunst des Autors, sich das Mitleid mit Galen und die allgemeinen Sympathiewerte für den jungen Mann durchaus in Grenzen halten, so weich und innerlich ohne Rahmen setzt Vann seinen Galen in diese Welt des „versorgt sein wollen“, ohne den Preis dafür entrichten zu wollen.
„Dreck“ ist ein interessanter, intensiver und andersartiger Entwicklungsroman, der sprachlich und in der Darstellung seiner Protagonisten in teils sehr provozierender Darstellung zu überzeugen weiß.