Der Richter und sein Opfer: Wenn die Justiz sich irrt

Folgenschwere Irrtümer ohne Gewähr auf rasche Korrektur
  • Gesamtwertung
3.5

Wenn die Justiz sich irrt

Was vom Titel her sich gut einreihen würde in die Riege der Thrillerliteratur, eröffnet bei näherem Hinsehen eine noch viel schwierigere Welt. Denn die Fälle in diesem Buch sind nicht erfunden, entstammen nicht der Kreativität eines Schriftstellers, sondern sind bitterer Ernst und bittere, ernüchternde, immer sehr belastenden Erlebnisse für jene, die (im Nachgang dann festgestellt) nachweislich fälschlich in die „Mühlen der Justiz“ gerieten.

Wobei, auch das sei vorweg bemerkt, sich Darnstädt natürlich auch auf jene Fehlurteile und Schicksale konzentriert. Das sollte im Hinterkopf behalten werden und ebenso (auch wenn Darnstädt hier und da ein stückweit auch polemisch fast ein generell anderes Bild entwirft), dass solche Fehlurteile in diesem Ausmaß nicht die Regel im bundesdeutschen Rechtssystem darstellen. Wohl aber das System als solches anfällig für Fehleinschätzungen ist, die dann ob der herausragenden Stellung des Richterberufes nicht immer zeitnahe und konsequent widerlegt werden.

So wie der damals 30jährige Bauzeichner Harry Wörz. Verdächtigt. Ohne nachweisbares Alibi (alleine im Bett über Nacht). Und dann wegen „versuchten Mordes an seiner ehemaligen Frau (einer Polizistin!)“ festgenommen. Detailliert führt Darnständt anhand dieses Falles vor Augen, wie Indizien in eine bestimmte Richtung ausgelegt werden (es hätten auch andere Auslegungen geben können). Mit dem Ergebnis von insgesamt über 4 Jahren Haft für Harry Wörz und über 13 Jahren mit dem Makel des überführten Täters lebend. Von dem sich alle, auch der eigene Sohn, in dieser Zeit abgewendet haben.

Auch der spätere (viel zu späte) Freispruch brachte Wörz bis heute sein Leben und seine geistige Gesundheit nicht zurück, von den Bergen an Schulden ganz zu schweigen, die sich vor ihm auftürmen.

Anhand mehrer anderer Beispiele (fünfzehn Fälle legt er beispielhaft im Buch vor) legt Darnstädt konsequent offen, wie anfällig das Rechtssystem für Fehler, für richterliche Fehleinschätzungen ist (was noch zu akzeptieren wäre), vor allem aber, wie fast unmöglich es ist, solche Fehler zeitnah zu beheben, falls es überhaupt gelingt, die Fehler zweifelsfrei nachzuweisen. Fehler „mit System“ und „aus dem System heraus“ im Übrigen, wie Darnstädt nachzuweisen versucht.

Ermittler, die voreingenommen sind und nur in eine Richtung ermitteln, sobald sie eine „Idee“ von der Tat und dem Schuldigen haben, üble Nachrede, falsch Anschuldigungen, es gibt so einiges, was einen bis dato unbescholtenen (und de facto auch unschuldigen) Bürger in zunächst ein schräges Licht und dann in eine Verurteilung hineingleiten lässt.

Erschreckende Vorfälle, die durchaus auch in der einschlägigen Literatur Grundlage für Thriller sein könnten, vor allem ein Leiden der zu unrecht Beschuldigten, die weit über das Maß hinausgehen. Das eine bessere Ausbildung, eine qualifizierte Kontrolle der ausführenden Justizorgane bis zu den Richtern und deren Urteilen selbst wünschenswert und wichtig wären, um jedes Urteil intensiv zu prüfen und vor Fehlurteilen zu schützen, darin mag der Leser, nach der Lektüre, Darnstädt gerne und bereitwillig folgen.

Einige polemische Spitzen und eine Amtosphäre im Buch, die das deutsche Rechtssystem an sich fast ad absurdum führt und wenig gute Haare am System an sich lässt, hier schießt Darnstädt allerdings über das Ziel hinaus.

Alles in allem ein flüssig geschriebener „Augenöffner“ für die manches Mal bittere Realität einer engstirnigen und teils einseitig ermittelnden Justiz, die aufzeigt, dass es durchaus noch an Kontrolle der Justiz selber mangelt.

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