Heilsame Lektüre
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Insgesamt
Zusammenfassung
Ein wunderbares Buch.
Wie beim „Hundertjährigen“, fast noch mehr wie bei der „Pilgerreise des Harold Fry“, setzt Nina George in ihrem neuen Roman auch eine „Lebensreise“ zum Mittelpunkt des Geschehens. Der, wie in den anderen erwähnten Büchern auch, eine faktische Reise vordergründig Rhythmus und Etappen mit vorgibt.
Das Ganze in einer schönen, ausdrucksstarken, wortreichen und mit einer erkennbaren Tiefe versehenen Sprache, die mit großem Einfühlungsvermögen die Protagonisten bis in kleine Nebenfiguren hinein erfasst und vor den Augen des Lesers nuancenreich ausbreitet.
Jean Perdu hat seinen großen Lastkahn am Seineufer in Paris fest vertäut und betreibt eine Buchhandlung, die viel mehr ist als nur ein „Umschlagplatz“ für Gedrucktes. Ohne es selbst genau erklären zu können, besitzt Jean zwei Dinge, die ihn zu etwas ganz Besonderem machen. Zum einen ein profundes Wissen über Geschichten (30.000 hat er im Kopf, darüber hinaus Ahnungen von viel mehr noch) und zum anderen eine fast magische Empathie, was Menschen angeht, vor allem Kunden.
Wer kommt, den erfasst er schnell, intuitiv, fast immer aufs Genaueste. Und „verschreibt“ diesem Kunden dann das genau passende Buch, zur Erleichterung, zur Lindigkeit, zum Lebensmoment passend. Genauso, wie er von anderen Lektüren abrät, hinweist, die Kraft der Sprache zum Guten, zur Heilung ebenso betont wie die Gefahren falscher Lektüre zur unpassenden „Lebenszeit“. Eine „literarische Apotheke“, das ist, was Jean anbietet.
Doch Jean selbst? Da nagt seit Jahrzehnten ein Schmerz. Ein Zimmer in seiner fast möbelfreien Wohnung war bis vor Kurzem über ebenso lange Jahre hinweg fest verschlossen. Ein Zimmer mit einem Resthauch von Lavendelduft. Genau das Zimmer, in dem Jean mit Manon seine Liebe des Lebens erlebte.
ergangen. Schmerzlich auseinandergegangen. Ein Ereignis, dass Jean dazu bewegt, einen festen, unsichtbaren Panzer anzulegen. Bitte keine Berührungen. Keine zu persönlichen Fragen. Keine Nähe. Das ausufernde Puzzle auf dem Boden des Wohnzimmers, das ist seine Freizeitbeschäftigung und damit soll es gut sein.
Doch das Zimmer wird geöffnet. Einen Tisch braucht er daraus, um ihn der schmählich verlassenen Nachbarin zu schenken. Eine Öffnung des Zimmers, die ebenso erste Risse in seinem „Lebenspanzer“ hervorruft. Die nicht durch ein wenig gute und rechte Lektüre so schnell zu schließen sein werden. Und so wird sich Jean aufmachen, die Taue lösen, den Motor anwerfen und sich mit seinem alten „Buchschiff“ auf die Reise durch Frankreich machen. Auf die Reise zu sich selbst, zu Manon, mit vielen, vielen anrührenden und tief reichende Begegnungen auf der Reise selbst, versteht sich.
Begegnungen, die Nina George eine wie die andere poetisch und menschenkundig beschreibt, den Leser ganz mit hinein zieht in diese Welt des Geistes, der Literatur, der „anderen“ Seite eines technisierten Alltages, der die Seele doch nicht erreicht. Und zugleich eine ebenso anrührende und wunderbare Liebesgeschichte mit zu erzählen versteht.
„Erinnerungen sind wie Wölfe. Du kannst sie nicht wegsperren und hoffen, dass sie dich ignorieren“. Ebenso wenig, wie die Liebe oder der Wunsch nach innerem Leben „weggesperrt“ werden könnte. So sehr so manche Menschen das auch versuchen.