Gegen das Bravsein
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Gesamtbewertung
Das System von Lohn und Strafe ist eines der Grundsysteme menschlichen Seins, erlernt von Kindesbeinen an, auch wenn die konkreten Inhalte (das, was belohnt oder bestraft wird) kulturell verschieden sein mögen und sich durch die Zeiten hindurch ebenfalls kulturell wandeln.
So trifft es, wenn Gruner kühl diagnostiziert, dass eine der, wenn nicht die, wesentliche Antriebskraft des Menschen eben „die Angst ist, ungehorsam zu sein“.
„Das Bedürfnis nach Gehorsam ist ein grundlegender Aspekt unserer Kultur“.
Aber mit Folgen, die Gruner in absoluter Klarheit negativ beschreibt, ein Grundaspekt, den er als eine Pathologie kennzeichnet, die von der Kultur selbst hervorgebracht wird.
Diese „Unterwerfung unter den Willen eines anderen“, teils ganz ominösen und kaum fassbaren anderen, verstärkt durch das „Gefühl“ völliger Freiheit ist für Gruner zudem eine der größten Bedrängungen des demokratischen Prinzips, dass von der Freiheit des einzelnen lebt und doch von kulturellen Konventionen weiterhin bestimmt wird.
Da der Gehorsam schon in frühkindlichen Phasen, mit der Geburt bereits, beginnt, ist er weitgehend unbewusst, wird die Unterwerfung verankert und erduldet, ohne sie als solche wirklich wahrzunehmen. Mit Folgen für die eigene Identität, die Gruner in Teilen als „fehlende Identität“ kennzeichnet.
„Wir verfügen über dich, weil es zu deinem Besten ist“, das ist die perfide Logik der „anderen“, der „herrschenden“ Seite, die Gruner ebenso klar und prägnant im Buch herausarbeitet.
Wie er „Wege aus dem Gehorsam“ aufzeichnet. Weniger als „To-Do Listen“, deutlich aber als eine psychologische Arbeitsaufgabe, die sich auf den gesamten Organismus bezieht und die dann greifen kann, wenn der einzelne seine tiefe Angst vor dem Ungehorsam entdeckt und bereit ist, gegen diese anzugehen. Mit Kopf Herz, mit Verstand und Gefühl.
Weil: „Gehorsam ist destruktiv. Gehorsam grenzt das Denken ein und verneint die Realität“.
Ein ruhiges Buch mit klarer Stringenz, das dem Leser die Breite des Gehorsams und der eigenen Prägung durch die Angst vor dem Ungehorsam sachlich, nüchtern und zugleich überzeugend und einsichtig vor Augen führt.
Worte, mit denen Gruner ebenso überzeugend den „Weg zu sich selbst“ als einen „Weg aus dem Gehorsam“ kennzeichnet. Nicht, um in ständigen Trotz überzugehen, sondern um sich seiner selbst umfassend zuwenden zu können.
Spannende Gedanken, überzeugend dargelegt und trotz der Kürze des Textes hochgradig zur Reflexion anhaltend.