Tödliche Laute
-
Gesamtbewertung
„Glaubst Du, ich schieße gerne auf Leute? Wirklich nicht. Ich tue es, weil ich es tun muss“.
Was Will immer noch nicht ganz verstehen will und, vor allem, woran er eigentlich nicht beteiligt sein möchte. An solchen Verfolgungsjagden irgendwo im Niemandsland, bei denen er mit Schrotflinten auf Streifenwagen oder gar auf Hubschrauber zu zielen hätte. Wenn er sich denn überwinden könnte.
Eigentlich wollte Will nur kurz zur Toilette, bevor er in den Wagen seiner Freundin steigt und dann nach Hause gefahren wäre.
Wären da nicht diese beiden merkwürdigen Gestalten gekommen, hätten ihm irgendetwas Lähmendes gespritzt. Wäre er nicht kurz entkommen, hätte den Flughafen in Aufruhr versetzt, nur um dann ein paar Minuten später von eben jener Freundin in tödlicher Absicht angefahren worden.
Will hat was, was wichtig ist. Was andere brauchen. Er hat es in seinem Kopf. Nur, dass er nicht davon weiß. Genusowenig wie davon, dass er eigentlich gar nicht Wil ist. Aber das kommt später. Nachdem er für längere Zeit mit seinem merkwürdigen Begleiter Eliot rein mit überleben beschäftigt ist.
Auf der anderen Seite erzähl Barry von Emily. 16. Trickbetrügerin. Und begabt. In bestimmter Hinsicht. Begabt in der Beeinflussung von Menschen. Doch das ist alles noch gar nichts gegen jene Fähigkeiten, die ihr die Akademie enthüllen wird. Dass es Worte, eher aneinandergereihte Laute gibt, die ob des Schalls, den sie verursachen, direkt auf bestimmte Bereiche des Gehirns wirken. Sozusagen Reflexe auslösen.
Ein darin geschulter Mensch, von der Akademie „Dichter“ genannt, kann andere zu allem bringen. Wenn er nach viel Erfahrung gelernt hatte, für welche Laute genau dieser Mensch anfällig ist.
Eine Macht der Worte, der Sprache, die uralt ist, die in den Mythen der Völker als Sprachverwirrung eingegangen sind, beim Turmbau zu Babel angefangen.
Und dann gibt es „Blanko-Worte“. Worte von solcher Macht, dass sie für alle Arten von Persönlichkeiten gleichermaßen Wirkung zeigen. Wer ein solches “Blanko-Wort“ besitzt, der beherrscht alles und jeden.
Aber wer ist denn nun eigentlich gut oder böse im Buch? Will der Entführer Eliot durch Will das Chaos verhindern? Will Emily die Macht schützen? Will Keats nur Ordnung halten auf der Welt?
In hervorragend gesetztem Tempo verschachtelt Barry die beiden Perspektiven des Romans miteinander, lässt den Leser Emily in der Vergangenheit besser kennenlernen und währenddessen Will actionreich verfolgt werden.
Bis sich alle Stränge des Buches an einem zentralen Ort treffen werden. Ein Ort, an dem das Chaos bereits ausgebrochen war, das „Blanko-Wort“ seine Macht erwiesen hat. Und ebenso versäumt es Barry nicht, ganz hintergründig auf die „Sprachverwirrung der Gegenwart“ hinzuweisen. Auf die Auflösung von Sprache als verbindendes Moment, auf zurückgehaltene Informationen und Versuche der Machtausübung durch gesammelte Fakten über die Vorlieben und Lebensweisen von Menschen.
In der modernen Informationswelt läuft es ja nicht groß anders ab als mit diesem Machtworten, zumindest auf kleinerer Ebene. Wer den anderen bestens einschätzen kann, auch als eher Fremden, der kann sich zurechtlegen, was er zu sagen hat, zu versprechen, um den anderen zu manipulieren.
Insgesamt ein durchdachter, intelligent konzipierter Thriller, der es weder an Action noch an Verweisen auf die Realität fehlen lässt.
„Du glaubst also, dass ich was sagen muss, damit es Realität wird“? „Ja, das glaube ich“.
Fragt sich nur, welche Realität dann entsteht.