Liebende in Gefahr
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Gesamtwertung:
„Such mich nicht!“. Mit diesem eher lapidaren Satz ist Jakob aus Jessicas Leben vor Jahren bereits verschwunden. Jener Jakob, mit dem sie eine Liebe in solch Intensität verband, dass sie, trotz des bereits vergangenen, langen Zeitraumes, Jakob nicht vergessen kann. Ihre andere „Hälfte“. Aus dieser Grundkonstellation heraus ergibt sich der Titel des Buches. Eben nur ein „halbes Leben“ ist es, dass Jessica trotz aller äußeren Erfolge in ihrem Leben und trotz des Eingehens einer Art neuer Partnerschaft seit Jakobs Verschwinden führt.
Ein Leben, in das die Vergangenheit mit Macht einbrechen wird. Als Jessicas Großmutter stirbt, fährt sie zur Ordnung der Hinterlassenschaft in das Heimatdorf der Großmutter und vermeint dort, auf der Straße, Jakob zu sehen. Nie hat sie aufgehört, ihn innerlich zu suchen, auch wenn ihre äußere Suche irgendwann ein Ende ob der Nutzlosigkeit des Unterfangens fand und nun wird sie keine Ruhe mehr geben, der vermeintlichen Sichtung Jakobs nachzugehen. Aus ihrem „halben Leben“ heraus, bei dem seit Längerem ihrerseits nur noch mühsam die Fassade aufrecht erhalten wird.
Doch diese Suche wird gefährlich werden und schmerzhaft zugleich. Bisher gehütete Familiengeheimnisse kommen ans Licht. Erst ungläubig, dann mehr und mehr sicher in ihrer Spurensuche wird Jessica gegen Ende des Buches hin (hervorragend und dich von Strandberg geschildert) sich selbst auf der Flucht wiederfinden. Auf der Flucht, da sich „ihre Alpträume doch bewahrheiteten“. Denn Jakob damals ist mit gutem Grund wie vom Erdboden verschwunden und hat dies nicht nur aus eigener Kraft bewerkstelligt (die Hintergründe wirken jedoch dann im Buch ein wenig konstruiert). Ebenso liegt hinter dem vermeintlich stetigen Leben der Großmutter noch ein ganz anderes Erleben, andere Leidenschaften verborgen. Je mehr Jessica in all dieses eintaucht, desto mehr wird sie einerseits selber zur Zielscheibe krimineller Kräfte und muss all ihre Kraft aufbieten, zu entkommen, während sie andererseits das Leben von einer ganz anderen Seite und mit ganz anderer Kraft durch das Tagebuch der Großmutter kennenlernt und damit in eine eigene Entwicklung eintaucht.
Liebesroman, Lebenssuche, Identitätsfindung, Familiendrama und Kriminalroman in einem, das ist es, was dieses Buch von Mats Strandberg hervorhebt aus der großem menge an Liebesromanen. Natürlich legt er im Kern eine Liebesgeschichte vor, aber auch eine übergreifende Geschichte vom Suchen und Finden, von Gefahr und Kampf, vom Leben, das nicht den gängigen Normen entspricht. Sprachlich differenziert geschrieben, durchaus mit Spannungsmomenten versehen und, vor allem, mit der Fähigkeit, seine Figuren lebensecht und mit Tiefen und überraschenden Lebenswendungen zu versehen.
Das Buch liest sich flüssig, ist weder mit Klischees noch mit allzu unrealistischen Wendungen versehen und unterteilt sich in die Geschichte der Gegenwart und einen Erzählstrang des Rückblicks in die Familiengeschichte, die miteinander durchaus verwoben sind. Diese Rückblicke in die Erinnerungen der Großmutter sind letztlich fast noch spannender als zeitgeschichtliches Erleben als der eigentliche „Kriminalfall“ um Jakob herum, hier ist doch das ein oder andere der Hintergründe ein wenig an den Haaren herbeigezogen und würde besser in einen amerikanischen Großstadtthriller als aufs schwedische Land passen.
Dennoch im Gesamten eine anregende und durchaus spannende Lektüre mit realistischen Einblicken in dunkle Ecken eines Familienlebens.